Liebe Feiernde,
Seid mal kurz ruhig... Noch ruhiger... Hört ihr was?
schschrrrrchchSCHSCHSCHRRRRRRRCHCHCHCH
Wers nicht erkannt hat: Das ist der Tsuanmi an Menschenrechtsabbau der gerade über uns wegrollt. Na gut, Sicherheitsgesetze heißt sowas heute wohl.
Der dämliche Nazi im Olympia-Einkaufszentrum letztes Jahr und Annis Amri am Breitscheidplatz haben den Weg frei gemacht. Was da jetzt steigt, kann sich jedenfalls auf die BRD bezogen ohne Weiteres mit der großen Folter- und Polterparty nach Nineeleven messen.
Zum Beleg kommt jetzt gleich ein Panoptikum von gezielten Schlägen gegen die Menschenrechte, alle frisch verabschiedet oder mitten in der Pipeline.
Helft doch bitte mitzählen.
Eins
Videoüberwachungsverbesserungsgesetz. Das heißt wirklich so und ist im März durch den Bundestag gegangen. Zweck der Sache ist erstens, dass der Staat endlich den freien Zugriff auf die Daten privater Überwachungskameras bekommt. Ihr kennt den Alptraum, wenn ihr gelegentlich Tatort anschaut. Der ist jetzt immerhin mal Rechtswirklichkeit. Und zweitens, viel schlimmer, soll jetzt auch „Schutz der Bevölkerung” ein legitimer Überwachungszweck sein. Bisher mussten die Behörden eine besondere Gefährdung herbeifaseln. Nicht länger: Sagt Hallo zu vielen neuen Kameras.
Zwei
Gesetz zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises. Da gehts eher nebenbei um die biometrischen Fotos, die ihr für euren Perser habt abgeben müssen. Bisher konnte die Polizei nur Nachts direkt in die Computer der Meldeämter (das ist, wie alles, was ich hier erzähle, kein Witz). In Zukunft geht das für Geheimdienste und Polizei 24/7. Szenario: Personalienkontrolle beim Straßenfest. Die Staatsgewalt will wissen, mit wem ihr hergekommen seid, holt sich euer Bild und sucht in den Strömen der vielen neuen Kameras per Gesichtserkennung nach Bildern von euch und euren FreundInnen. Die Leute dann zu Namen auflösen geht mit diesem Gesetz offiziell noch nicht, aber der nächste Anschlag kommt ja bestimmt.
Drei
Gesetz zur Förderung der offenen Kommunikation. Das ist was, mit dem die FDP in Baden-Württemberg voll in Rassismus macht. Es geht vordergründig vor allem um so Burkazeug, aber bei der Gelegenheit gibts auch eine Verschärfung des unsäglichen Vermummungsverbots. Da fallen dann die letzten kleinen Ausnahmen. Um es uns so richtig reinzureiben, sagt die FDP in ihrem Entwurf gleich noch: „Da beispielsweise Volksfeste und entsprechende Aufzüge nicht unter den Versammlungsbegriff fallen, führt die Regelung zu keiner Einschränkung dieser Veranstaltungen”.
Vier
Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Das ist im April durchs Kabinett gegangen und wird private Plattformen, also Twitter, indymedia und sowas, als Hilfszensoren des Staates verpflichten. Ziel ist, „Hatespeech” wegzukriegen. Was das für einen Sinn haben soll, wenn Hatespeech als Gesetzentwurf daherkommt, wir hatten ja gerade ein bitterböses Beispiel dafür, kann niemand erklären. Aber: Ausgerechnet Bertelsmann bestimmt schon jetzt drüber, was die Opfer von facebook so äußern können. Kennt ihr die Great Firewall of China, die die Leute dort vor dem bösen Internet schützt? Hier kommt die Great Firewall from Gütersloh.
Fünf
Reform des §113 StGB. Das ist der Widerstandsparagraph und seine Umgebung. Highlight sind drei Monate Mindestknast, wenn einE PolizistIn findet, dass ihr nicht richtig gehorcht habt. Wohlgemerkt, Körperverletzung war schon immer Straftat, egal ob BürgerIn oder PolizistIn. Neu ist ein Sonderrecht, das speziell die Staatsgewalt schützt. Keine Ahnung, ob das wirklich so böse kommt, wie das Gesetz geschrieben ist. Aber schon das Prinzip, nach dem es schlimmer ist, den Staat zu dissen als einen Menschen zu verletzen, zeigt aus welchen widerwärtigen Gedankenwelten die ganze aktuelle Gesetzessoße kommt. Ist übrigens letzten Donnerstag im Bundestag durchgewunken worden.
Sechs
Fluggastdatengesetz. Dabei speichern auch die BRD-Behörden jetzt für fünf Jahre, was ihr auf euren Flügen gegessen habt, neben wem ihr gesessen seid, und womit ihr bezahlt habt. Hat die EU angeschafft, heißt es. Auch wenn das so nicht so richtig gelogen ist: Die EU hat nicht vorgeschrieben, dass auch Flüge innerhalb der EU abgeschnorchelt werden müssen. Das war schon unsere eigene Regierung. Ist auch am letzten Donnerstag abgenickt worden.
Sieben
Änderung des Telekommunikationsgesetzes. Noch was, was der Bundestag am letzten Donnerstag beschlossen hat. Da gehts darum, dass „zur Beseitigung von Störungen” die Betreiber im Auftrag der Behörden Netzwerkverkehr beliebig abschnorcheln und vor allem sperren und umleiten dürfen. Was genau so eine Störung ist, steht nicht im Gesetz und nicht in der Begründung. Erinnert sich noch wer an die versuchte Netzblockade gegen die Lufthansa wegen Abschiebeflügen? Das war ziemlich sicher so eine Störung. Ob auch ein PDF von alten radikals (das hatten sie ja schon in den 90ern zensieren wollen) eine Störung ist? Keine Ahnung.
Acht
Das neue BKA-Gesetz. Noch eins vom letzten Donnerstag. Da sind gleich ein paar große Knaller drin. Ich picke hier mal raus, dass es in Zukunft einen richtig großen Polizeicomputer geben soll, in dem alles, was die Polizei irgendwo speichert, landet. Bisher gibts ziemlich viele Einzelcomputer in den Ländern, was auch nicht toll ist, aber immer noch weniger totalitär. Die große Vereinheitlichung ist in den letzten paar Jahren schon vorbereitet worden, als „Polizeilicher Informations- und Aufgabenverbund”, PIAV. In Zukunft hat das BKA dann die größte Schwarzfahrersammlung aller Zeiten und kann auf Knopfdruck eine Liste der drogensüchtigen anarchistischen raubkopierenden Asylbetrüger rauslassen. Razzia!
Neun
Maßregelrecht bei extremistischen Straftaten. Sorry fürs doofe E-Wort. Das ist ein Teil einer ganzen Gesetzesoffensive zur Verteilung von elektronischen Fußfesseln; dieses Gesetz lässt das für Leute zu, die im Staatsschutzbereich mehr als zwei Jahre aufgebrummt bekommen haben. Laut neuem BKA-Gesetz und ein paar Ländergesetzen darf die Polizei die Dinger aber in Zukunft auch schlicht „Gefährdern” pressen, also Leuten, bei denen sie halt wirklich keine Straftat konstruiert kriegt. Mit den neuen Gesetzen kann sie einfach daherkommen mit „bestimmten Tatsachen”. Wir von der Roten Hilfe haben schon zu viele von diesen „bestimmten Tatsachen” gesehen und lachen drum mal kurz und bitter auf.
Mit Glück wäre „ist von unserem V-Mann nach Berlin gefahren worden” so eine „bestimmte Tatsache”. Klar ist auf jeden Fall, ihr da draußen, ihr seid brutal potenzielle GefährderInnen. Dass sich so ein Begriff, in Wahrheit nicht mehr als dünner Lack über dem unschönen Wort „Polizeiwillkür”, immer weiter in Gesetze reinfrisst, ist für sich schon eine Katastrophe.
Zehn
Reform der DNA-Analyse. Dazu kommen derzeit aus einigen Länderinnenministerien Ansagen. Sie wollen erstens Familienanalysen erlauben. Wenn also die Polizei eure DNA am krass illegalen Plakat gefunden hat und euer Onkel in der passenden Datenbank ist – der DAD –, dann können sie immerhin schon mal den fragen, welche GefährderkommunistInnen er denn so in der Verwandtschaft hat. Noch üblere Hatespeech ist aber, dass sie auch Haut-, Augen- und Haarfarbe bestimmen lassen wollen. Ein schwacher Trost ist, dass das zur Zeit eigentlich nur für blaue Augen richtig gut funktioniert.
Das erste Gesetz dieser Art wurde in den 90ern in den Niederlanden nach Nazikrawallen eingeführt. Weil, die Nazis waren fest überzeugt, dass ein Sexualmord in der Umgebung einer Refugee-Unterkunft dringend von wem mit schwarzen Augen, Haaren und Häuten begangen worden sein muss. Aber der DNA-Zauber hat damals noch nicht mal für blaue Augen getaugt, und so kam erst viele Jahre später raus, dass es ein braver und echter Holländer war. Das auf Naziwunsch und -druck eingeführte Gesetz ist natürlich trotzdem in Kraft geblieben.
Ich erspare euch elf bis zwanzig. Ich habe den Überblick auch verloren.
Selbst wenn das Verfassungsgericht ein paar von diesen Sachen nachher etwas abmildern sollte – so oder so ist es aussichtslos, in diesem Tempo zu klagen –, diesen Irrsinn kriegen wir nur zurückgedreht, wenn wir wieder lauter sein als die Autoritären und die Faschisten.
Fangt gleich damit an.
[Legalese, wenn es jemand braucht: Recycling willkommen: Diese Rede, geschrieben von Viktor Erwin Zweiflung, ist ins Public Domain gestellt. Die Details regelt CC0 1.0 Universal]