Das Strafgesetzbuch wird heute 150 Jahre alt, und mit ihm zahlreiche unsägliche Gesetze, die seit der Kaiserzeit nur kosmetisch überarbeitet wurden. Das ist kein Grund zu feiern, sondern zu kämpfen und die Wut, mit der Feministinnen seit eineinhalb Jahrhunderten gegen dieses Repressionsmonstrum auf die Straße gehen, weiterzutragen. Gezielt gegen Frauen, und zwar gegen ein grundlegendes, minimales Selbstbestimmungsrecht, die Verfügungsgewalt über den eigenen Körper, richtet sich der Paragraf 218. Und der Kampf um die reproduktive Selbstbestimmung ist ebenso mühsam und zäh wie – sogar noch zäher als – der Kampf um sexuelle Selbstbestimmung.
Die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ist älter als sämtliche Strafgesetzbücher der Welt, vermutlich so alt wie das Patriarchat, doch die Formen der Verfolgung haben sich geändert. Unter den zehntausenden Frauen, die in der frühen Neuzeit als Hexen verbrannt wurden, waren nicht wenige, die den patriarchalen Vorgaben trotzten und die ungewollt Schwangeren beim Abbruch halfen. In anderen Fällen wurden die so genannten Engelmacherinnen ebenso wie Frauen, die ihre eigene Schwangerschaft abgebrochen hatten, durch Lynchjustiz ermordet, als „Kindsmörderinnen“ hingerichtet oder auf Jahrzehnte eingekerkert.
Mit dem Reichsstrafgesetzbuch von 1871 wurde die frauenfeindliche Politik dann in einheitliche Paragrafen gegossen und erhielt somit eine gesetzliche Grundlage. An die Stelle der Femizide trat nun eine fünfjährige Zuchthausstrafe; das gleiche Strafmaß traf Menschen, die beim Schwangerschaftsabbruch medizinische oder logistische Hilfe geleistet hatten. Die Kriminalisierung von Abtreibungen führte dazu, dass es bis weit ins 20. Jahrhundert als Normalität akzeptiert wurde, dass ungewollt Schwangere „ins Wasser gingen“, vor allem unverheiratete Frauen, die als uneheliche Mütter dem sozialen Tod ins Auge sahen. Andere versuchten, durch körperliche Überanstrengung eine Fehlgeburt herbeizuführen, oder nahmen die Dienstleistungen von Frauen in Anspruch, die unter unsäglichen hygienischen Bedingungen und ohne medizinisches Fachwissen Schwangerschaftsabbrüche vornahmen. Viele Frauen starben an den Folgen dieser unprofessionellen Abtreibungen oder mussten bei Komplikationen ins Krankenhaus, wodurch sie mit einer Haftstrafe zu rechnen hatten. Zehntausende erlitten dauerhafte gesundheitliche Schäden, weil es keine Möglichkeiten eines sicheren Schwangerschaftsabbruchs gab.
Besonders betroffen waren Frauen aus der Unterschicht, die keine weiteren Kinder ernähren konnten. In der Weimarer Republik brachen jährlich bis zu einer Million Frauen illegal ihre Schwangerschaft ab, durchschnittlich knapp 8000 von ihnen starben an den katastrophalen medizinischen Umständen des Eingriffs, und über 25.000 erlitten jedes Jahr Blutvergiftungen und andere schwere körperliche Schäden. Zugleich nahm die Kriminalisierung zu, und die Verurteilungen schnellten in die Höhe: waren 1919 nicht einmal 1000 Frauen nach § 218 verurteilt worden, erhielten 1925 über 7000 Frauen Haftstrafen - diese Zahl sollte die nächsten Jahre Standard werden.
Doch die Frauen waren nicht nur Opfer des patriarchalen Repressionsapparats: die Frauenbewegung hatte die Abschaffung des Paragrafen 218 stets als zentrale Forderung, und in den 1920er Jahren wurden die Massenproteste stärker. Auch die damalige Rote Hilfe Deutschlands machte den Kampf gegen den Paragrafen 218 zu einem zentralen Thema, denn sie stufte dieses Gesetz klar als Teil einer politischen Klassenjustiz ein, die sich gegen Frauen, vor allem aber gegen Proletarierinnen richtete. Millionen gingen auf die Straße, um die Amnestierung der wegen § 218 gefangenen Frauen, um endlich Straffreiheit und das Recht von Frauen, über ihren eigenen Körper zu bestimmen, einzufordern.
Großen Aufwind bekam die Kampagne, als am 19. Februar 1931 die beiden ÄrztInnen Friedrich Wolf und Else Kienle wegen gewerbsmäßiger Abtreibung in hunderten Fällen verhaftet wurden. Besonderes Aufsehen erregte der Fall dadurch, weil Wolf als kommunistischer Schriftsteller schon seit Jahren öffentlich Position gegen den § 218 bezogen hatte, unter anderem mit dem Theaterstück „Cyankali“. In den folgenden Wochen kam es überall zu Massenprotesten, die die Freilassung der beiden ÄrztInnen forderte; Else Kienle trat nach wochenlangen Verhören schließlich in einen Hungerstreik, bis sie als haftunfähig entlassen wurde. Beide engagierten sich danach in den Kämpfen gegen den Paragrafen 218, doch die Machtübertragung an die Nazis schlug die Frauenbewegung blutig nieder. Sie verschärften die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und stellten bereits 1933 auch die Werbung dafür unter Strafe, indem sie den heutigen § 219 einführten.
Auch nach der Befreiung vom Faschismus dauerte es viele Jahre, bis die Kämpfe von Frauen gegen die reproduktive Fremdbestimmung wieder an Stärke gewannen. Erst die neue Frauenbewegung ab den 1960er Jahren verhalf der Forderung wieder zu größerem Nachdruck und stieß eine gesamtgesellschaftliche Debatte an.
Zugleich waren die Aktivistinnen aber ständiger staatlicher Verfolgung ausgesetzt – sei es wegen ihrer Beteiligung an militanten Protesten oder wegen solidarischer gegenseitiger Hilfe und selbstorganisierten Projekten.
Ein Höhepunkt der Kriminalisierung wurde am 1. Juli 1975 erreicht, als das Frankfurter Frauenzentrum vom „Kommissariat für Tötungsdelikte“ durchsucht und die dortige ÄrztInnenkartei beschlagnahmt wurde. Das Frauenzentrum hatte nicht nur Kontakte zu ausländischen ÄrztInnen, die Schwangerschaftsabbrüche vornahmen, vermittelt, sondern auch kollektive Fahrten in die Niederlande organisiert. Die Repressionsorgane nahmen das zum Anlass, das selbstorganisierte Projekt als „kriminelle Vereinigung“ nach Paragraf 129 zu verfolgen und auch in anderen Städten Frauen wegen „Beihilfe zur organisierten Abtreibung“ polizeilich vorzuladen.
Und bis heute wird der Kampf um die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen kriminalisiert, ebenso wie die Proteste gegen rechte so genannte LebensschützerInnen. Wir als Rote Hilfe müssen allzu oft linke AktivistInnen beraten, die wegen Demonstrationen gegen frauenfeindliche Umtriebe wie den „1000-Kreuze-Marsch“ mit Verfahren überzogen werden. Stärker in der öffentlichen Wahrnehmung war in den vergangenen Jahren der Paragraf 219, der es ÄrztInnen verbietet, Fachinformationen über Schwangerschaftsabbrüche zu veröffentlichen. Dem mutigen und jahrelangen Kampf von Kristina Hänel und weiteren GynäkologInnen gegen dieses Gesetz ist es zu verdanken, dass die gesellschaftliche Debatte endlich wieder in Schwung kam. Daran müssen wir anknüpfen.
Unsere Solidarität gilt allen, die nach den Paragrafen 218 und 219 Repression erleiden!
Es ist mehr als genug, es ist überfällig, dass diese unsäglichen frauenfeindlichen Paragrafen endlich aufgehoben werden.